Olympia „Was macht der da?“
Hürdenstar joggt ins Ziel – Neue Regel sorgt für kuriose Szene
| Lesedauer: 3 Minuten
Von Laura Wolf
Redakteurin im Sport-Kompetenzzentrum Axel Springer
Er ist einer der Mitfavoriten über die 110 Meter Hürden: US-Sprinter Freddie Crittenden. Verdutzt mussten Zuschauer beobachten, wie er bewusst langsam und als Letzter ins Ziel joggte. Möglich macht das eine umstrittene Leichtathletik-Neuerung.
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Diese Szene sorgt bei Leichtathletik-Fans und Experten für Verwunderung: Der US-Hürdenstar Freddie Crittenden, der als Mitfavorit für eine Goldmedaille gilt, sprintet nicht wie gewohnt über die 110 Meter Hürden. Vielmehr dribbelt er im Fünfer-Rhythmus durch den Hürdenwald. Als Letzter und mit 18,27 Sekunden kommt er ins Ziel. Seine Saisonbestleistung: 12,93 Sekunden.
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„Jetzt mal genau hinschauen“, kommentierte ARD-Experte Ralf Scholt die Aufnahmen. „Der Zweite von rechts. Das ist Freddie Crittenden, der zweitbeste Hürdenläufer in diesem Jahr“, so Scholt. „Was macht der da? Der macht einen Trainingslauf. Trippelditripp, trippelditrapp, trippelditropp.“
Der Lauf des US-Stars war jedoch kein Zeichen fehlender Ambitionen – sondern Taktik. Bei vergangenen Olympischen Spielen wäre der Sprint-Star nach diesem Lauf aus dem Wettkampf ausgeschieden. Doch in Paris gibt es erstmals auch in der Leichtathletik sogenannte Hoffnungsläufe. Diese gibt es in allen Einzeldisziplinen von 200 m bis 1500 m auf der Bahn, einschließlich der Hürden.
Crittenden setzt voll auf Hoffnungslauf
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Bis zu den Olympischen Spielen in Tokio hing die Qualifikation für das Halbfinale von den erzielten Zeiten während der Vorläufe ab. Direkt eine Runde weiter kamen die besten drei Athleten jedes Laufs. Danach qualifizierten sich die Läufer und Läuferinnen mit den besten Zeiten.
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Der neue Hoffnungslauf ersetzt dieses Verfahren. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich im ersten Lauf nicht für das Halbfinale qualifiziert haben, können nun ihre zweite Chance nutzen.
Crittenden setzt aus gutem Grund voll auf ebendiesen Hoffnungslauf: Gegenüber dem US-Sender NBC gab er an, dass er leicht angeschlagen sei. Er wolle seinem Körper einen Tag länger zur Regeneration geben. Die Hoffnungsläufe steigen am Montag. Dann muss Crittenden abliefern, um ins Halbfinale einzuziehen.
Neuerung stößt auf Kritik
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Der österreichische 1500-Meter-Läufer Raphael Pallitsch hatte die bizarren Szenen in den Vorläufen schon vor Olympia-Start prognostiziert: „Es könnte sein, dass ich im Vorlauf nach fünfhundert Metern sehe, dass ich den Anschluss nicht habe, und dann halt den Motor abstelle. Es gäbe keinen Grund für mich beispielsweise und provokant gesagt, mich da zu bemühen, wenn ich ohnehin automatisch eine zweite Chance habe. Für das Publikum wären solche Rennen ein Wahnsinn“, sagte er der „Kronen Zeitung“.
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„Ich finde, auf den kürzeren Distanzen, wie den 100 Meter Hürden der Frauen oder den 110 Meter Hürden der Männer, kann man von einem Hoffnungslauf sprechen – wenn man zum Beispiel die Hürden touchiert“, sagte Weitsprung-Ikone Heike Drechsler zu „Sport1“. „Bei den längeren Strecken finde ich es dagegen nicht okay“, so die zweimalige Olympiasiegerin. „Falls man es in die nächste Runde schafft, hat man immer einen Lauf mehr in den Beinen.“ Bei der Distanz über 400 Meter wäre das laut Drechsler eine nicht mehr wettzumachende Belastung.
Der deutsche Läufer Marius Probst zeigte sich hingegen als Fan der Neuerung. „Ich finde es tatsächlich super, da jeder Athlet auf jeden Fall zweimal laufen darf“, sagt er vor dem Start bei „Sport1“. „Aber die Hoffnungsläufe sind super schwierig.“ Für Probst reichte es dann auch nach dem Hoffnungslauf nicht fürs Halbfinale über die 1500 Meter.